Der Duftgarten


Schon als Kind hatte Giselle eine feinere Nase als andere. Angwidert schob sie ein Glas Milch von sich "Die hat n Stich!". Ihre Mutter nahm das Glas, roch dran und meinte "DU hast n Stich! Die Milch ist völlig in Ordnung!" Doch Giselle wusste es besser. Am nächsten Tag war auch die restliche Milch im Kühlschrank "umgekippt" und ihre Mutter sah ein, dass Töchting es nur mal wieder früher gemerkt hatte.

Giselle wuchs heran und entwickelte kleine Eigenheiten. Sie wusch sich gern mit Kernseife, verabscheute Billigparfums und litt körperlich unter den nicht immer angenehmen Ausdünstungen ihrer Mitmenschen. Früh bat sie, ihre Wäsche selbst waschen zu dürfen. Sie ertrug den Gestank der Weichspüler nicht.

Aromatisierte Lebensmittel (Tees!) waren ihr ein Gräuel.
Sie liebte aber natürliche Gerüche sehr. Der Duft von Babies, Blüten im Park, frischgemahlener Kaffee, Äpfel, guter Wein... unendlich war die Zahl der kleinen Glücks-und Wonnemomente, die durch sie liefen, wenn sie etwas "Gutes" roch.

Als sie von zu Hause auszog, wählte sie ein kleines Haus am Stadtrand, mit einem großen Garten. Leisten konnte sie sich das problemlos. Sie war nach der Schule bei einem großen Kaffeehändler in Hamburg in die Lehre gegangen. Ursprünglich wollte sie Bürokauffrau werden - aber schnell bemerkte der Chef, welches einmalige Talent seine kleine Azubine hatte. Schon bald steckte Giselle ihre wohlgeformte Nase in einen Sack mit grünen Kaffeebohnen und sagte: "Arabica Bohnen aus Kolumbien? Nie im Leben. Da sind Rustica dazwischen, 25% würde ich sagen..." Einmal erwischte er sie, als sie mit einem Röster über die Dauer der Hitzezufuhr diskutierte "Kenia Doppel A ist viel zu schade für Kurzröstung! Die Bohne ist weich, aromatisch, aber stark... Langsam, bei mittlerer Hitze, das müsste es bringen". Ihm war schleierhaft, woher sie das wusste, aber er nutzte ihre Gabe begeistert.
So nahm er sie mit auf seine Einkaufs-Reisen - auf ihre Nase war Verlass. Giselle war nichts vorzumachen. Ihr Ruf sprach sich schnell herum - und um sie zu halten, bot er ihr eine Bezahlung, die sie an sein Unternehmen binden würde.

Ihre Eltern waren stolz - aber auch besorgt. Ein junges Mädchen, das die Lehre abbrach, dafür gleich rechte Hand vom Chef wurde und ein Gehalt nach Hause brachte, welches das ihres Vaters um das Vierfache überstieg? Die stille, eigenwillige Giselle hatte eines Tages die elterlichen Sticheleien satt - Geld hatte sie genug - also: Es musste dieses Hexenhäuschen sein.

Acht lange Wochen dauerte es, bis das Haus entrümpelt war, komplett leer. Dann kam die Maler. Giselle wollte, dass jeder "alte" Geruch vertrieben würde, bevor sie einzog. Bis es soweit war, verbrachte sie viel Zeit im Garten.
Am Garten war offenbar seit Jahrzehnten nicht viel gemacht worden. Eine sehr große Rasenfläche - umkränzt von Buchenhecken, das war es schon.

Eine Gärtnerei in der Nähe war schnell gefunden. Giselle mochte den jungen Besitzer sofort. Ein stiller Mensch, wie sie auch. Ihr gefiel die Sorgfalt, mit der er seine Pflanzen, Sträucher und Bäumchen aufzog. Er redete wenig, stand nur mit ihr zusammen vor seinen Beeten und meinte: "Einen Duftgarten willst Du? Phlox, Flieder, Rosen, Jasmin, klar. Und in die Mitte pflanzen wir eine Kastanie...."

In der Firma lief alles wie gewohnt. Der Chef schätzte Giselles Bereitschaft, öfter Überstunden zu machen. Besonders, wenn die neuen Sorten reinkamen, wie nun gerade. Giselle kochte am Nachmittag die Probekännchen auf und machte sich an die Verkostung. Das dauerte lange...

Abends gegen neun kam er in ihr kleines Labor. "Giselle, nun ist aber mal Schluss! Lassen Sie uns essen gehen, in einer halben Stunde werden wir im "Cox" erwartet. Die Einkäufer der Röstereien sind da." Giselle seufzte "Gut. Aber den Blue Mountain aus Jamaica, den muss ich noch prüfen..."

Ein halbe Stunde später saß sie unbehaglich im Restaurant. Das "Cox" ist ein edler Laden, französische Küche, exzellente Weine. Eigentlich war sie gern dort. Wenn nur dieser gelackte Typ neben ihr nicht in "Cool Water" von Davidoff gebadet hätte. Nettes Parfüm, sicher, aber er hatte sich offenbar die halbe Flasche über den Körper gegossen. Ihr Chef sah sie nachdenklich an. "Giselle, lassen Sie uns die Plätze tauschen. Sie sitzen ja lieber mit Blick aus dem Fenster" Dankbar stand sie auf. Auf der anderen Tischseite ging es tatsächlich.

Ihr Chef überließ die Auswahl des Weines ihr, wie üblich. Sie entschied sich für einen St. Emilion Gand Cru von 1995. Das wohlige "hmmmm" der anderen, als der Wein getrunken wurde, zeigte ihr, wie richtig sie wieder gelegen hatte. Sie begann, sich besser zu fühlen.
Außerdem waren Spargelwochen. Giselle bestellte sich das komplette Spargelmenue und aß mit Begeisterung. Die konnten hier wirklich was.

Später fuhr ihr Chef sie nach Hause. "Giselle, eigentlich hatte ich gehofft, sie würden sich mit dem Mann, der zunächst neben Ihnen saß, besser verstehen..." begann er vorsichtig. Giselle sah überrascht auf. "Giselle, wir verbringen sehr viel Zeit miteinander. Sie arbeiten 60 bis 70 Stunden die Woche und dann noch die Reisen. Ihr Privatleben kommt zu kurz, das weiß ich. Sie sind aber zu jung, um Ihr Leben ganz dem Kaffee zu widmen" Er lächelte etwas. "Ach, und da wollten Sie mich mit diesem Davidoff-Typen verkuppeln?!" Giselle lachte auf. "Nein. Wirklich nicht. Ich muss einen Mann schon riechen können, bevor.. also.. bevor ich..." Sie brach verlegen ab. Ihr Chef nickte.

Zu Hause dachte Giselle über den Abend nach. Es stimmte schon: sie war eine Einzelgängerin. Ein einziges Mal hatte sie es mit einem Mann versucht. Ein netter Kerl, sicher. Sie kam nicht mit ihm klar. Wochenlang fragte sie sich, was wohl nicht stimmte, zwischen ihr und ihm. Er war freundlich, sah gut aus, behandelte sie wirklich erstklassig. Sie war nicht verliebt gewesen, hatte aber die Hoffnung gehabt, dass das schon kommen würde, mit der Liebe.

Nach einer Weile war sie nur noch genervt gewesen. Das unsägliche Vanille-Duftbäumchen in seinem Auto (sie hatte immer versucht, im Wagen flach durch den Mund zu atmen, aber der Gestank hing noch Stunden später in ihrer Kleidung) war so ein Indiz. Und wie er roch! Er duschte täglich, sicher, aber der Geruch seines Körpers hatte etwas fein stechendes, metallisches. Sie hatte sich nicht an ihn kuscheln mögen, alles in ihr hatte sich gesträubt. Und dann war dieser Abend gekommen. Sie hatten das erste Mal miteinander schlafen wollen. Für Giselle war es wirklich das erste Mal.

Er war nochmal pinkeln gewesen. Giselle war direkt nach ihm auf die Toilette gegangen. Der scharfe Geruch seines Urins hatte die Luft erfüllt. Ein Stehpinkler, das auch noch. Später, im Bett, war das Desaster komplett gewesen. Giselle hatte sich total verkrampft. Sie hatten das Ganze dann abgebrochen und sie war fluchtartig aus seiner Wohnung verschwunden. Seitdem hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet.

Bedrückt ging sie zu Bett. Wenigstens wohnte sie nun alleine, und ihre Mutter konnte sie nicht mehr mit Fragen löchern.
Der nächste Tag war ein Sonnabend. Arbeitsfrei, wie schön. Giselle wachte dennoch früh auf denn an der Tür klingelte es Sturm.
Verschlafen wühlte sie sich aus dem Bett, zog einen Morgenmantel an und stolperte zur Haustür.
Als sie öffnete, stand Raimund (der Gärtner) davor. Den hatte sie ja völlig vergessen! Richtig, heute war ja der Termin für die Planung vor Ort... Entschuldigend lächelte sie: "Du, das tut mir Leid, ich bin gestern so spät nach Hause und hab noch geschlafen. Komm rein, bitte!"

Er folgte ihr in die Küche. "Setz dich erstmal. Möchtest Du einen Tee? Holunder, Ceylon first flush, Hibiscus, alles da..." Er entschied sich für Hibiscus. Giselle setzte das Teewasser auf und bereitete die Kanne vor. Während sie geschäftig vor der Arbeitsplatte hin und her ging, spürte sie ihre drückend volle Blase. Ungeduldig wartete sie, dass das Wasser endlich kochen möge. Inzwischen hatte der Gärtner den Gartenplan auf dem Küchentisch ausgebreitet.
Giselle goß das kochende Wasser auf die Hibiscusblätter.
"Ich zieh mir mal schnell was an, der Tee braucht ja noch etwas..." meinte sie und beeilte sich, zur Toilette zu kommen.

Hektisch ergriff sie die Klinke der Badezimmertür, zog dran - und hielt sie in der Hand. Die Tür war immer noch zu. "Oh nein" flüsterte sie. Giselle versuchte, die Klinke wieder in das Loch der Tür zu stecken, aber es gelang ihr nicht. Durch den Schreck musste sie noch dringender. Mit fliegenden Fingern versuchte sie es erneut. Wieder misslang es. Giselle fühlte eine Drangwelle durch sich durch laufen. Sie begann zu tänzeln. "Raimund! Kannst du mir mal helfen?!"

Er kam sofort und sah, um was es ging. "Gib mal die Klinke her..." Mit einem Griff hatte er den Dorn ins Türloch gesteckt und öffnete. Giselle schoss ins Bad. Raimund machte keine Anstalten, die Tür zu schließen. Er untersuchte das Schloß und machte sich daran zu schaffen. "Kannst du bitte die Tür zumachen?" Giselle stand in der Mitte des Badezimmers und kreuzte die Beine. "Ich müsste mal ganz schnell...!!" Der Gärtner sagte sehr ruhig "Ja. Mach doch, ich guck dir schon nichts weg. Hier fehlt ne Schraube..."

Es half nichts. Giselle trippelte zur Toilettenschüssel, zog ihr Höschen runter und hockte sich, nur notdürftig vom Bademantel verdeckt, hin. Ein lautes Zischen erklang. Sie pisste druckvoll und lange. Als sie aufsah, erblickte sie Raimund. Er stand in der Türfüllung und sah ihr zu.
"Raimund!!" Sie war empört.
"Nicht abziehen!" bat er. Er schloss die Augen und schnupperte. "Sag mal, hast du gestern Spargel gegessen? Das duftet ja geil, wie Lavendel... Bei den meisten stinkt es schweflig, aber bei dir nicht. Boah, das riecht ja richtig genial..."

Ihr Zorn verflog. Ein Mann mit "Nase" - das war doch mal was anderes. Wenig später war sie gewaschen und angezogen und saß mit Raimund am Küchentisch.
"Hibiscustee mag ich sehr. Er ist fruchtig und inentsiv. Man nimmt ihn sogar, um andere Tees zu aromatisieren. Diese Kunsttees, die nach Erdbeer schmecken, find ich grauenhaft" meinte er. Giselle schenkte ihm nach und grinste in sich hinein.
Nach und nach rutschte sie an ihn heran. Er duftete nach Erde und Gras. Am liebsten hätte sie sich bei ihm angekuschelt.

"Gerüche sind so wichtig. Es heißt ja auch, man kann sich riechen oder nicht. Ich glaub, wir können uns ganz gut riechen, oder?" begann sie mutig.
Sie redeten lange miteinander. An diesem Tag und an den vielen folgenden.

Als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten und danach auf dem Bett lagen, erfüllte ein ganz neuer unbekannter Duft das Zimmer. Giselle schnüffelte "Was ist denn das? Das mag ich..." Raimund küsste sie sanft auf die Wange. "Das ist Sperma, Giselle. Meines riecht wie Kastanienblüten. Weißt du noch? Ich habe dir eine in den Garten gepflanzt..."



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