Die Suche


Diese Geschichte hat nichts mit unserem Aurum -Thema zu tun. Sie ist weder erotisch noch Fetisch - orientiert. Dafür hat sie einen anderen unschätzbaren Vorteil: Sie ist mir tatsächlich genauso passiert, und zwar heute, am Tag, an dem sie auf das Board kommt. Ich kann mir jetzt, kurz vor Weihnachten, keine Bessere für Euch denken.


Die Suche

Es war im kalten Dezember des Jahres 2000. Weihnachten zeichnete sich am Horizont ab - das Fest der Familie.
Traurig saß Nelli zu Hause und zappte durch das Fernsehprogramm. Nach der zweiten gescheiterten Ehe war sie regelrecht vereinsamt...
Das konnte nicht so bleiben!
Das DURFTE nicht so bleiben!

Was ist das denn da im TV? "Single Börse"? Nelli starrte auf den Bildschirm. Aha, man musste nicht aus der Deckung. Man konnte sich ein Chiffre geben lassen und ohne Preisgabe der Telefonnummer, Adresse oder Namen Kontakt zu jemandem aufnehmen, der einen interessierte. Na prima! Hektisch kritzelte Nelli die Telefonnummer im Fließtext auf einen Zettel. Sie hatte sowas noch nie gemacht, aber genug war genug.
Mit fahrigen Fingern wählte sie die Telefonnummer... Sie wusste nichts von dem Mann, dem sie jetzt eine Botschaft auf ein Band sprach. Nur, dass er auch aus Hamburg kam, Mitte 40 war und allein... Wenn er Interesse hätte, würde er sich bei ihr melden - über Chiffre, ja klar.

Michael hatte sich wieder mal lustlos durch das Fernsehprogramm gezappt.
Seit seine Ex ihn wegen dieses Vermögensberaters verlassen hatte, gab es nur noch seinen Job bei Germanair für ihn - naja und ab und zu seine Segelgruppe. Aber nun war Dezember, das Boot lag auf Helling und Michaels restlichen Sozialkontakte waren auf Eis gelegt.
Mit Grausen dachte er an das bevorstehende Fest. Wieder allein in die Kneipe gehen? Das war ja letztes Jahr schon eine Pleite gewesen...
Ha, was war DAS denn da eben? "Single Börse"? Michael las mit erwachendem Interesse die Spielregeln vom Bildschirm ab. Okay, einen Versuch war es wert. Aber nur EINEN!. Er gab seine Telefonnummer durch und ein paar Eckdaten über sich - und begann zu warten...

Sein Handy blinkte... SMS von der Kontaktbörse. Jemand hatte aufs Band gesprochen für ihn! Er wählte die Nummer und hoffte inständig, dass man ihn für die 1,49 EUR, die der Spaß in der Minute kostete, nicht verarschen würde.
Ihre Stimme klang nett, schüchtern... "Hallo, ich bin Nelli und mach das hier zum ersten Mal… aber das sagen wohl alle..." Ein nervöses Kichern folgte. Dieses Kichern überzeugte Michael sofort. Das war nicht gespielt. Er hörte weiter zu. "...und da dachte ich, man kann sich ja mal treffen, auf einen Kaffee, also draußen, nicht in der Wohnung oder so - also einen Kaffee in einem Cafe..." Sie verhaspelte sich wieder. Michael begann zu lächeln. Ja. DIE wollte er gern kennen lernen! ..."Meine Nummer ist 040 544.........." Während er zuhörte, wählte Michael die Nummer auf seinem anderen Telefon.
Sie war sofort dran.

Er schlug ihr ein Cafe in ihrer Nähe vor, für den nächsten Nachmittag. Sie sagte zu und dann sprachen sie noch etwas. Über die Gründe, warum sie beide das allererste Mal so etwas... und dass es aber auch schwierig ist, heutzutage und dass man ja ganz anders ist als die Leute, die sowas nötig haben, weil man selber ist ja eigentlich eher spontan und alternativ und liberal und so.
Sie legten dann auf, nach 2 Stunden und freuten sich auf den nächsten Tag.

Die beiden trafen sich im Cafe im Einkaufszentrum. Nelli war den ganzen Tag nervös gewesen, hatte sich wohl dreimal umgezogen und ihren Schminkstil von "mondän" auf "Mädchen" und endlich auf "dezent" geändert.
Nun saß sie, eine geschlagene Stunde vor der vereinbarten Zeit an einem Tisch und guckte zur Eingangstür.
Das Cafe war fast leer. Nur am Tresen stand ein netter Kerl und trank einen Kaffee. Wie der rübersah! Aber Michael konnte es ja nicht sein, es war erst 14 Uhr und für 15 Uhr hatten sie sich verabredet.
Langsam legte Nelli eine Ausgabe "P.M." auf den Tisch - das vereinbarte Erkennungszeichen.

Der Mann am Tresen lächelte sie an, und kam auf sie zu. "Hallo! Ich bin Michael. Nelli?"
Es wurde ein langer langer Nachmittag - der dennoch vorbei flog wie ein flirrender Sonnenstrahl. Sie sprachen über ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Pläne.
Das erste Mal seit Jahren hatte Nelli wieder das Gefühl, von einem Mann wirklich verstanden zu werden. Wie er sie ansah - aus seinen klugen grauen Augen - sie hätte drin ertrinken mögen, in diesem Blick.
Michael betrachtet die Frau vor ihm mit steigender Bewunderung. Sie sah gar nicht aus, wie über 40, sie war fröhlich, hatte blonde kurze Haare und so ein süßes Lächeln - und was sich alles hinter diesem Lächeln verbarg! Ernst hörte er ihr zu, als sie von ihrer Ehe sprach, von den Demütigungen und den durchweinten Nächten. "Aber das ist schon Jahre vorbei! Inzwischen weiß ich, wer ich bin und was ich nie mehr mitmachen werde" meinte Nelli entschlossen.
Michael nickte. "Aber ja. Sicher...."

Sie verabredeten sich für den übernächsten Tag an den Landungsbrücken.
Michael brachte sie zur S-Bahn. Zum Abschied streichelte er ihre Hand, ganz sanft. "Bis dann, Nelli - ich freu mich schon auf Dich, auf uns..." Sie strahlte zurück "Yepp, dito!!" und verschwand im Zug.

Am nächsten Tag wollte Michael sie kurz anrufen - und musste feststellen, dass er ihre Nummer nicht hatte. Verflucht! Er hatte die Nummer ja direkt ins Telefon getippt, gestern! Die Anruflisten vom Vortag waren natürlich gelöscht. Verblüfft wurde ihm klar, dass er zwar privateste Informationen über sie hatte - aber noch nicht mal ihren Nachnamen wusste - wo sie wohnte und bei welcher Firma sie arbeitete. Nun, egal. Er würde sie eben morgen fragen. Aber schade war es doch, dass er sie heute nicht erreichen konnte.

Zur gleichen Zeit machte Nelli dieselbe Entdeckung. Auch ihr war nach einem kurzen Anruf bei Michael gewesen - einfach nur, um sich zu versichern, dass sie diesen wunderbaren Kerl nicht geträumt hatte.
Aber sie hatte seine Nummer nicht - nur die Zentralnummer der Single Börse und den Chiffre Code. Der ist aber immer nur 24 Stunden gültig und war mittlerweile abgelaufen. Wie hieß Michael denn bloß mit Nachnamen? Nelli grübelte und grübelte. Sie kam nicht drauf...

Es wird nie mehr geklärt werden können, was an dem folgenden Nachmittag an den Landungsbrücken schief lief.
Ob es die Tausende Touristen waren, der unklare Treffpunkt, egal. Michael und Nelli waren beide dort gewesen. Beide liefen die Promenade entlang, rauf und runter zu den Barkassen, hin zum Hauptgebäude, wieder zurück zum Ankerdenkmal... Sie verpassten sich.
Stunden später saß Nelli weinend im "Sagres" am Hafen und fühlte, wie in ihr ein altbekanntes trauriges Gefühl hochstieg. Sie sollte einfach nicht glücklich werden. Es war nicht gerecht.

Michael stand mit klopfendem Herzen am Kai und lehnte über das Geländer.
Warum nur lief alles, was er anpackte, schief? Warum war er so vom Pech verfolgt? Das durfte doch nicht wahr sein!

Die darauf folgenden Wochen und Monate versuchte Nelli, Michael zu finden. Sie lief zum Cafe und hängte dort einen Zettel mit ihrer Telefonnummer auf: "MICHAEL, bitte melde DICH!" Außer ein paar besoffenen Scherzbolden machte niemand von diesem Angebot Gebrauch. Vor allem Michael nicht. Sie hatte von ihm erfahren, dass er in Glinde wohnte. Also gab Nelli eine Anzeige im dortigen Käseblättchen auf. Diesmal mit Chiffre. Keine Resonanz.
Michael hatte inzwischen in jedem Szeneblatt inseriert, das Hamburg zu bieten hatte. "NELLI bitte ruf mich an! MICHAEL".
Sie verpassten sich ein zweites Mal. Michael las keine Käseblättchen und Nelli keine Szenepostillen...

Trauer senkte sich in beider Herz.

Viele Jahre später organisierte Nelli ein Klassentreffen. Sie wollte einfach mal wieder unter Menschen. Seit der Begegnung mit Michael hatte sie sich immer weiter zurückgezogen.
Das Klassentreffen war wirklich toll - wie schön, endlich mal die Leute von früher wieder zu sehen! Nelli blühte etwas auf. Sie war diejenige, die akribisch und mit großer Sorgfalt alle Daten der Ex-Schüler sammelte, aktuelle Telefonnummern, Wohnorte, neue Nachnamen.

Mit einigen Leuten vom Treffen blieb Nelli in Kontakt. So auch mit Caro, mit der sie schon in der Grundschule zusammen war. Caro und Nelli trafen sich ab und zu in der Stadt, nach der Arbeit und klönten. Nelli erzählte von ihrem Job bei der ARGE und wie stressig das dort zur Zeit ist. Caro berichtete, dass sie immer noch bei Germanair tätig sei.
Kaum hatte sie dies erwähnt, schoss Nellis Kopf hoch. "WO?" "Na, Germanair. Wir düsen mit so Flugzeugen durch die Welt, weißt Du?" Caro grinste. Nelli begann, herumzudrucksen. "Du Caro? Ich mein, ich weiß ja nicht ob das geht, es geht ja wahrscheinlich eh nicht, aber könntest DU...? Ach egal, das kann ich nicht verlangen und außerdem ist es wahrscheinlich sowieso zu spät... Und ich weiß ja den Nachnamen nicht und nachher will der mich gar nicht sehen - das ist so peinlich - aber Du wirst ihn ja doch nicht finden können...das ist schon 6 Jahre her und vielleicht arbeitet der schon woanders...."

"NELLI! Nu ist aber mal gut! Ich weiß nicht, um was es geht, aber wenn ich jemanden in Germanair für Dich finden soll, dann musst Du mir schon sagen, wen!" Caro guckte Nelli abwartend an.
Und so gab Nelli ihrer Freundin alle Daten ebenjenen Michaels, an die sie sich noch erinnern konnte.
"Er müsste jetzt Ende 40 sein. Zwei Töchter hat er, eine ist Reisebürokauffrau oder so. Er wohnt in Glinde..."
"Ja, weiter?" fragte Caro. Nelli sah sie unglücklich an. "Das ist schon alles...." Caro seufzte. "Nelli, das wird sehr schwierig..."

Anderntags verfasste Caro ohne viel Hoffnung eine Mail an das Frauennetzwerk von Germanair. Die Antworten waren herzlich, hoffnungsvoll und leider ohne das ersehnte Ergebnis. Caro dachte nach. Nelli hatte wirklich unglücklich ausgesehen, als sie von Michael erzählte. Im Laufe des Abends hatte Caro die ganze traurige Geschichte erfahren und mehr als einmal schien ihr, dass Nelli dabei sehr nah am Wasser gebaut hatte.
So schwer konnte das doch nicht sein! Adressbuch aufrufen, Germanair Deutschland.... "Suchen", Vorname "Michael".. na guten MORGEN! 223 Michaels, einer schöner als der andere!
Ergeben kopierte Caro die Namen in einen File und schrieb eine E-Mail:


"
Schönen guten Tag!
Bin auf der Suche nach einem Germanair - Mitarbeiter, Vorname MICHAEL, wohnhaft in Glinde, Ende 40, zwei Töchter (eine davon Reiseverkehrskauffrau oder ähnliches).
Wenn dies nicht auf Sie zutrifft, vergessen Sie bitte diese Mail. Ich bitte Sie für die Verschwendung Ihrer Zeit um Entschuldigung.
Falls Sie sich angesprochen fühlen, wenden Sie sich bitte an mich. Ich habe eine möglicherweise interessante Nachricht für sie.
"

Zehn Minuten später rief er an.

Ja, er wohne in Glinde. Er sei geschieden, schon richtig. Zwei Töchter, ja. Eine führt ein Reisebüro. Woher Caro das wisse?
Caro fragte vorsichtig weiter, ob er sich erinnern würde, im Jahr 2000 eine Frau kennen gelernt zu haben, in einem bestimmten Cafe...
Caro hörte Michael tief einatmen.
Er sagte nur: "Ja. Aber Sie waren das nicht. Diese Frau hatte eine andere Stimme..."

Caros Herz wurde weit. Nach 6 Jahren wusste Michael also immer noch, wie Nellis Stimme geklungen hatte.
Vorsichtig begann sie, ihm zu erzählen. Von Nellis langer Suche nach ihm und von ihrem Wunsch, ihn wieder zu sehen, und ob er... weiter kam sie nicht.
"BITTE! Haben sie ihre Nummer?! Geben Sie mir ihre Nummer, ich bitte Sie...!!"

Er musste nur einmal fragen.

Wahrscheinlich telefonieren Nelli und Michael gerade. Oder sie sind schon unterwegs, um sich wieder zu sehen. Oder beides gleichzeitig?

Wir werden es erfahren ;-)))




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