Sucht


Die folgende Geschichte hat zwar nasse Elemente, aber um die geht es erst in zweiter Linie. Sie ist noch nicht mal erotisch. Dennoch war sie in meinem Kopf - und wollte unbedingt geschrieben werden.


Sucht

Nachdenklich streifte Dr. Ashley die Zigarettenasche am Rand des Aschenbechers ab, bevor er erneut einen tiefen Zug nahm. Durch den bläulichen Rauch sah er über seinen Schreibtisch hinweg die drei Menschen an, die sichtlich nervös davor standen.
"Sicherlich habe ich eine Ahnung, was sich hinter dem Phänomen verbirgt. Dies zu erklären, könnte länger dauern. Nehmen Sie doch bitte in der Sitzecke Platz. Whiskey, Sherry, Martini?"

Dr. Frederickson schüttelte den Kopf. " Wenn Sie ein Glas Wasser für mich hätten?" fragte sie. Dann nahm sie auf dem Sesselchen am Tisch Platz, schlug die langen Beine übereinander und wippte hektisch mit dem Fuß. Dr. Ashley lächelte leicht.
"Sicher." Die beiden Männer entschieden sich für Whiskey. Nachdem alle versorgt waren, setzte sich Dr. Ashley zu ihnen. Bevor er etwas sagen konnte, meinte Dr. Frederickson: "Es wäre mir wirklich lieb, wenn Sie während unserer Unterhaltung nicht rauchen würden." Freundlich machte Dr. Ashley seine Zigarette aus und entgegnete: "Womit wir beim Thema wären, Gnädigste. Wussten Sie, dass Nikotin ein höheres Suchtpotential hat als Heroin? Höher als Alkohol, höher als fast alles, was wir kennen? Mit einer Ausnahme allerdings, und um diese geht es heute ja."

George Jenkins vom FBI schüttelte ärgerlich den Kopf. "Unsinn! Es geht um nicht weniger als zwanzig mysteriöse Todesfälle allein in diesem Jahr. Die Akten liegen Ihnen vor. Von mir hätten Sie sie nebenbei nicht gekriegt, wenn mein verehrter Freund aus dem Innenministerium nicht darauf bestanden hätte." Mit diesen Worten sah er in Richtung des bislang stillen Dritten im Bunde. Bratt Lewis blickte ernst zurück. "So ist es. Ich habe darauf bestanden, weil ich vor ein paar Tagen eine hochinteressante Unterredung mit Dr. Ashley über das Problem hatte. Ich wünsche, dass Sie sich alle anhören, was er dazu zu sagen hat."

°°°

Mit zitternden Fingern faltete Leona das Merkblatt wieder zusammen. Sie hatte an alles gedacht. Ein großes Glas Wasser in Reichweite, das Pulsmessgerät war um ihr Handgelenk geschlungen. Sie hatte vorschriftsmäßig nur leicht gefrühstückt, war ausgiebig auf der Toilette gewesen und hatte sich in einen bequemen Hausanzug geworfen.
Beim Test war alles gut gegangen. In der Klinik (falls man die Privatpraxis von Professor Remington so bezeichnen wollte) waren die Elektroden überprüft worden. Sie erinnerte sich nur schemenhaft, wegen des Beruhigungsmittels, welches ihr dort während der Prozedur verabreicht wurde. Jetzt würde sich zeigen, ob das Ganze die 50.000 Dollar wert war, die sie gezahlt hatte.

Leona legte sich auf den nach hinten gestellten Fernsehsessel. Der Timer in ihrer Hand war auf eine Minute eingestellt, genug für den Anfang, hatte man ihr eingeschärft. Nach kurzem Zögern drückte sie den roten Knopf.

Es begann sofort, ohne dass sie noch einen Atemzug tun konnte. Eine Welle von Lust flutete durch sie, ein Tsunami aus Geilheit, Wonne und Erfüllung. Sie registrierte nicht mehr, was mit ihrem Körper geschah, spürte nicht, wie ihre Beine anfingen, zu zittern; dass ihr der Schweiß ausbrach. Es war wie eine Reihe von Orgasmen, die so schnell aufeinander folgten, dass es kein Abebben dazwischen gab. Dazu kam eine Grundseligkeit, ein tiefes Glück. Alles fühlte sich plötzlich gut an, richtig und vollkommen. Leona war im Himmel, da wo alles in Ordnung war, keine Fehler mehr, keine Schmerzen, keine Schuld. Sanft streichelte sie die Erinnerung. Sie war Kind, war eins mit allem. Voller Wonne... Sie ließ los, ließ alles los...

Es war so plötzlich zu Ende, wie es begonnen hatte.
Leona erwachte aus dem rauschhaften Taumel. Keuchend richtete sie sich auf. DAS war es wert gewesen, OH JA! Der Timer war zu Boden geglitten. Hektisch tastete sie nach ihm. Als sie ihn fand, drückte sie den roten Knopf - aber nichts geschah. Sie erinnerte sich, dass Professor Remington ihr etwas von einer Sicherheitspause von zwei Stunden erzählt hatte. VERFLUCHT! Sie musste also warten.

Wie trocken ihr Mund war! Schnell trank sie das Wasser. Ein Blick auf das Messgerät zeigte 140 Pulsschläge in der Minute an.
Mit wackelnden Knien stand sie auf. Die Hose ihres Flanellanzuges war nass, warm und nass. "Ich hab in die Hose gepieschert" schoss es ihr durch den Kopf. "Na egal".
Nach einer Weile gelang es ihr, zu duschen und sich frisch zu kleiden. Sie ertappte sich dabei, wie sie immer wieder zur Uhr sah.
Endlich war die Zeit um. Leona programmierte den Timer neu. Zwei Minuten diesmal. Sicherheitshalber legte sie ein Handtuch auf den Sessel, bevor sie sich erneut hineinlegte. Dann drückte sie den Knopf...

°°°

Dr. Ashley sah diesen arroganten Jenkins vom FBI spöttisch an. "Nun, in Anbetracht der Tatsache, dass hier Einige mehr oder weniger Laien sind, fang ich ganz von vorne an." Jenkins schnaubte. Unbeirrt fuhr Dr. Ashley fort: "Das Hirn funktioniert auf zwei Arten: chemisch und elektrisch. Wir können nur Eindrücke verarbeiten, wenn unsere Neurotransmitter unsere Sinneswahrnehmungen in Reize und gegebenenfalls sogar in Moleküle umsetzen. Ein zauberhaftes Zusammenspiel von Chemie und Elektrizität also. Die elektrische Funktionsweise ist aus der Hirnchirurgie seit Jahrzehnten bekannt. Durch Zufall hatte man entdeckt, dass man bestimmte Areale im Hirn gezielt stimulieren kann. Die Patienten hörten plötzlich Musik, erinnerten sich minutiös an Vergangenes, empfanden Angst - oder Lust. Mit der chemischen Stimulierung dagegen hat die Drogenbehörde der Vereinigten Staaten ja bereits so ihre Erfahrungen, nicht wahr, Jenkins?"

Jenkins schnappte "Na UND?"
Dr. Ashley seufzte. "Drogen, Jenkins. Drogen verändern die Funktionsweise des Hirns. Denken Sie an Kokain. Wie euphorisch, wie wach, wie leistungsfähig Kokain macht, das wissen wir doch alle. Nur hört die Wirkung von Kokain irgendwann mal auf und dann kommt der so genannte Koks-Kater, der bis in die dauerhafte Depression führen kann, wenn der Nachschub ausbleibt. Jede bekannte Droge hat derartige Nebenwirkungen, die in den finanziellen, gesundheitlichen oder geistigen Ruin führen. Den Nutzern ist das bekannt. Dennoch hält sie das nicht davon ab, sich weiter zu stimulieren. Wenige können dem Charme und der Wonne des Drogenkonsums auf Dauer widerstehen, wenn sie einmal damit angefangen haben."

An dieser Stelle mischte sich Dr. Frederickson ein: "Richtig. Wie man ja an Ihnen sieht." Dr. Ashley nickte amüsiert. "Gnädigste, ich frage mich die ganze Zeit, von welcher Stimulans SIE abhängig sind. Alkohol und Nikotin sind es nicht. Körpereigene Endorphine vielleicht? Exzessives Joggen? Sechsmal die Woche Fitness-Studio? Radfahren bis zum Flash? Ihrer wunderschönen Beinmuskulatur nach ist es zumindest eins davon. Merken Sie sich bitte: Suchtverhalten erkennt man nicht daran, dass die jeweilige Droge verboten oder geächtet ist."
Empört und sprachlos starrte Dr. Frederickson ihn an.

°°°

Auf der Terrasse des Ritz Carlton in Cannes saßen Jill, Cissy und Jeanette beim Nachmittagscocktail.
"Weiß eine von Euch, was mit Leona los ist? Die war doch sonst immer dabei bei den Filmfestspielen?" Jill sah die anderen beiden fragend an, aber die schüttelten nur die sorgfältig frisierten Mähnen. "Also, ich hab praktisch ununterbrochen versucht, sie zu erreichen, aber ihr Handy ist aus und beim Festanschluss springt die Mailbox an" meinte Cissy. "Sie hätte uns doch gesagt, wenn sie woanders ist. Für Aspen ist es zu früh und die Partys in den Hamptons gehen auch erst im Herbst los." Jeanette war ebenso ratlos, wie die anderen. "Es wird doch nichts passiert sein? Sie erwähnte etwas von einer Klinik, aber das war vor vier Wochen und ich wüsste auch nicht, was sie noch hätte machen lassen. Hat doch schon alles hinter sich..." Die Mädels waren bei ihrem Lieblingsthema und ergingen sich in Mutmaßungen über Leonas Schönheitsoperationen. Jill machte den Lästereien ein Ende. "Nun lasst sie mal. Wir haben doch alle unsere kleinen Geheimnisse.
Was mir Sorgen macht, ist: sie wohnt seit Monaten ganz allein in dieser Villa, seit sie diesen Gigolo rausgeworfen hat. Es könnte doch wirklich etwas passiert sein? Vielleicht ist dieser Brandon zurückgekommen und es gab Streit oder so. Verbrechen aus Leidenschaft? Oder sie ist entführt worden..."

Aufgeregt schnatterten die Mädels durcheinander. Aus Cannes wollte keine weg, vor dem Ende der Festspiele - aber es musste etwas geschehen. Cissy hatte die Lösung. "Ich hab die Nummer von ihrer Haushälterin. Ich ruf da jetzt mal an!"

°°°

"Worauf wollen Sie denn nun hinaus?" Jenkins wurde ungeduldig. Dr. Ashley schenkte Bourbon nach und erklärte weiter: "Bereits in den 70er Jahren hatte man Experimente mit Ratten gemacht, die mich auf die Spur geführt haben. Man hatte den Tieren Elektroden ins Hirn gepflanzt, die das Lustzentrum stimulierten, wenn die Ratten einen bestimmten Schalter im Käfig betätigten. Die Viecher sind neben gefüllten Futternäpfen verhungert, weil sie mehr oder weniger ununterbrochen den Lustknopf gedrückt hatten. Und wenn ich mir Ihre Akten so ansehe, Jenkins, dann frage ich mich, was Ihre Gerichtsmediziner eigentlich den ganzen Tag so treiben."

Zum Beleg seiner Aussagen griff sich Dr. Ashley wahllos eine der Akten, schlug sie auf und las vor: "Auffindungssituation: der Tote wurde in seinem Bett liegend vorgefunden. Keine Anzeichen äußerer Gewalteinwirkung. Bekleidung: Pyjama, die Hose eingenässt.... Moment, hier geht es weiter, gerichtsmedizinische Befunde, aha: Der Körper des Toten ist dehydriert, Magen und Verdauungstrakt völlig leer. Alkoholtest negativ. Drogentest negativ. Keine Vergiftungserscheinungen. Keine Spuren körperfremder Stoffe, weder in der Leber, noch in den Nieren oder im Blut. Keine Einstichstellen... Also, Klartext: Ihre Leute haben überhaupt nichts gefunden! In allen Akten steht fast der gleiche Text. Also hab ich mal geguckt, was die lieben Verblichenen denn sonst so gemeinsam hatten. Und siehe da: Alle, wirklich alle hatten viel Geld zur Verfügung. Alle lebten in großzügigen Verhältnissen. Und wir können davon ausgehen, dass sich die meisten von ihnen schon mal begegnet sind. In der Oberklasse ist man ja gern unter sich..."

Jenkins war immer noch nicht über die Kritik an seinen Leuten hinweg. "Was hätten die Pathologen denn tun sollen? Es wurden doch alle Untersuchungen durchgeführt!"
Dr. Ashley rollte mit den Augen. "Quatsch! Ist ein einziger Toter durch ein MRT gegangen?!"
"Was ist das denn?" fragte Bratt Lewis verständnislos.
"Na, MRT! Magnetresonanztomograph. Damit hätte man im Hirn der Toten Elektroden aufgespürt, die meine Theorie bestätigt hätten. Außerdem müsste in jedem Fall in Griffnähe der Toten ein Gerät gelegen haben, mit dem man diese Elektroden aktivieren kann. Wobei sich da immer noch die Frage nach der Stromversorgung stellt, aber es kann ja sein, dass diesen Leuten sogar DAS noch implantiert wurde. Jedenfalls hätte man es gefunden, wenn man danach gesucht hätte."

°°°

Professor Remington wurde langsam nervös. Schon wieder ein Todesfall unter seinen Patienten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann man ihm drauf kommen würde. Er hatte zu viele Mitwisser. Die OP-Schwestern, den Elektroniker... Sicher, er zahlte phantastische Summen für ihr Schweigen, aber ihm blieb die steigende Unruhe unter seinen Leuten nicht verborgen. In den letzten Monaten hatte er drei Patienten in der Woche verkabelt, wie er es nannte. Das waren an die 600.000 Dollar im Monat, davon gingen die Kosten für die Praxis und die Hilfskräfte ab - blieben immer noch 500.000 übrig. Acht Wochen noch, acht Wochen, dann hatte er es geschafft. Genug Geld für ein sorgenfreies Leben auf Kuba. Keine Auslieferung, selbst wenn im Nachhinein alles herauskäme. Schöne Villa in Havanna, seine Millionen würden so manches abpolstern. Nur: die Zeit lief ihm davon. Dass seine Patienten es aber auch derart übertreiben mussten! Sorgsam angewandt, hatte die Verkabelung keine Nebenwirkungen.
Er hatte die Sicherheitspause neuerdings schon auf fünf Stunden einstellen lassen, aber immer noch gelang es Einigen, sich mit dem Gerät umzubringen. "Wenigstens ein schöner Tod" dachte er.

°°°

Pepita Alvarez war Kummer gewohnt. Das Telefonklingeln bedeutet selten etwas Gutes. Trotzdem hatte sie gelernt, sicherhaltshalber dran zu gehen.
"Frau Alvarez? Cissy Donahue am Apparat. Eine Freundin von Leona. Sie erinnern sich sicher... Wir machen uns Sorgen..." Pepita war viel zu erleichtert, als dass sie Ausflüchte machte. "Gut, dass Sie anrufen. Ich mache mir auch Sorgen. Miss Leona ist so anders in letzter Zeit. Vor einer Stunde hat sie mich nach Hause geschickt. Dabei ist so viel zu tun und so viel zu besprechen. Aber sie will nicht reden. Es ist seltsam. Können Sie vielleicht kommen?" Holla! Wenn sogar Pepita, die nicht unbedingt für ihren akribischen Fleiß bekannt war, um Hilfe nachsuchte, dann war etwas im Busch. "Pepita, ich komme in vier Tagen. Versorgen Sie Leona gut. Wenn Gefahr droht, rufen Sie mich bitte an. Okay?" Cissy war dankbar für Pepitas Antwort. "Ja sicher, Ma'm Cissy. Ich versuche das Beste."

°°°

In den wenigen Momenten, in denen Leona klar denken konnte, versuchte sie, ihr Leben zu strukturieren. Sie zwang sich, Müsli zu essen und Gemüseshakes zu trinken. Ihre meist nasse Wäsche und die durchweichten Handtücher tat sie in den Wäschekorb für Pepita. In der knappen Zeit dazwischen hockte sie auf der Toilette und sah alle zwei Minuten auf die Uhr. Schon fünf Minuten vor der Zeit lag sie im Sessel und zitterte dem Moment entgegen, in dem sie endlich ENDLICH erfolgreich den roten Knopf würde drücken können.
Den Knopf, der sie zurückbrachte, in die unendliche Seligkeit ihrer Kindheit, der ihr Lust ohne Schuld bescheren würde, Lust und Wonne, Lust und Glück. Vollkommene orgiastische Lust, die sich selbst genug war, nicht nach einem Partner verlangte.
Die Höchstdauer der Stimulation war auf acht Minuten eingestellt. Leona hatte knapp fünf Wochen gebraucht, um dieses Stadium zu erreichen.

°°°

Cisco betrachtete die elegante Frau vor sich. Sie steckte ihm ein kleines Gerät entgegen. "Im Timer sind zwei Zeitbegrenzungen fest programmiert. Können Sie die deaktivieren?" Nach einer etwas eingehender Unterhaltung mit der Frau wusste Cisco, was zu tun war. Er brauchte zwei Stunden, dann hatte er die beiden Zeitbegrenzungen eliminiert, um die es der Frau ging. "Okay, Sie können jetzt mit dem Teil aktivieren, was immer Sie wollen, und wann Sie wollen. Die Aktivierung ist nun ohne Zeitlimit aktiv." Die Frau legte ihm ohne großartiges Palaver 1000 Dollar auf den Schreibtisch. Cisco nahm das Geld zögerlich. Wo zum Henker war der Haken? Er steckte das Geld ein und hoffte, dass die Scheine keine Fälschungen waren,

°°°

Jenkins hatte einige hektische Telefonate geführt. Zwei Opfer waren noch in der Gerichtsmedizin verfügbar. Beide würden sofort einem MRT unterzogen werden. "Wenn Sie Recht haben, Dr. Ashley, dann müssen wir also nur noch den Drecksack finden, der den Leuten die Drähte ins Hirn schraubt und dann müssen wir rauskriegen, wer noch alles operiert wurde." Er sah mit neuer Entschlossenheit auf sein Handy. Nun, wo er einen Ansatz hatte, wurde er wieder zu dem Terrier, als der er bekannt war. Dr. Ashley dämpfte Jenkins' Euphorie sofort.

"Und dann? Auf welcher rechtlichen Grundlage können Sie die Patienten zwingen, sich die Elektroden wieder entfernen zu lassen? Den Arzt kriegen Sie sicher schon irgendwie dran, obwohl das auch schwierig werden dürfte. Er tut ja nichts explizit Verbotenes. Die Patienten wollen eine bestimmte Dienstleistung und er erfüllt sie. Ich bin ganz sicher, dass er seine Kunden auf die Gefahren ausführlich hingewiesen hat. Elektroden sind keine Drogen, sie sind nicht verboten. Möglichweise hat er seine Einkünfte, die beträchtlich sein dürften, nicht versteuert. Alles andere, na ja. Selbst wenn er vor eine Ethikkommission käme, würde er nicht mehr verlieren, als seine Zulassung - und die braucht er nicht, wetten?"

Bedächtig füllte Dr. Ashley sein Glas mit Martini, bevor er sich Bratt Lewis zuwandte. "Bratt, was mir viel größere Sorgen macht, ist nicht die Möglichkeit, dass die Patienten sich umbringen. Ich denke eher daran, wie gefährlich das Ganze wird, wenn jemand anfängt, sich die plötzliche Manipulierbarkeit der Operierten zunutze zu machen. Jemand, der von dieser Art der Stimulation abhängig ist, tut doch alles dafür, dass er immer Zugang zu ihr hat. Verstecke sein Gerät und er wird Wachs in Deinen Händen. Hat ein zweiter das Gerät, so kann er den Operierten jederzeit zu allem Möglichen zwingen. Er kann ihn sogar damit töten."

Dr. Frederickson hatte der Unterhaltung still zugehört. Nun begann sie zögernd: "Manipulation durch das Verschaffen von Lust ist ja nun nicht so neu..." Drei Köpfe wandten sich ihr erstaunt zu. "Naja, wenn eine Frau etwas unbedingt haben möchte, dann setzt sie ja auch ihren Körper ein. Das Versprechen von Lust bringt ihren Partner dann schon in eine mildere Stimmung..."
Dr. Ashley lachte. "Und das aus IHREM Mund, Gnädigste! Ich dachte schon, Sie seien so weltabgewandt, dass Ihnen die einfachsten Dinge des Lebens fremd sind. Schön, dass es anders ist. Um auf den Punkt zurück zu kommen: Das Problem jeder Droge sind die Dosis und die Disziplin des Anwenders. Ich selbst kenne einige Kokain-User, die an höchster Stelle in der Regierung oder in der Wirtschaft arbeiten. Solange die sich nicht erwischen lassen, können sie ihre Droge konsumieren, wie es ihnen beliebt. Das sind dann die gleichen Leute, die das Rauchen in öffentlichen Kneipen verbieten lassen. Kein Wunder. In deren Leben spielen Kneipen eben keine Rolle. Aber ich schweife ab..."

°°°

Aufgeregt standen Cissy und Pepita vor der Haustür von Leonas Villa. Das Anwesen lag außerhalb der Stadt, mitten im Grünen und gesichert wie Fort Knox. Alleine Pepita und der Wachdienst kannten die Zahlenkombinationen der vier Schließmechanismen. Pepita hatte Cissy kurz ins Bild gesetzt. "Gestern ist Miss Leona in die Stadt gefahren. Als sie zurück war, hatte sie mich nach Hause geschickt. Heute war ich noch gar nicht da..."
Sie gingen durch den großen Flur in den Wohnbereich. Pepita sah Leona zuerst. "Miss Leona, Miss Leona!" rief sie und rannte los. Cissy schoss hinterher. Leona lag mit geschlossenen Augen auf ihrem Fernsehsessel, fast ganz ausgestreckt. Ihre Schenkel zitterten leicht. Sie stöhnte leise. Cissy rüttelte sie an den Schultern. "Leona, wach auf!" Doch ihre Freundin registrierte sie gar nicht. Entsetzt bemerkte Cissy Leonas aufgesprungene Lippen, ihre strähnigen Haare und dass sie sich offenbar eingenässt hatte. "Wir müssen sie irgendwie wach kriegen" meinte Cissy überflüssigerweise. Endlich erblickte sie den kleinen schwarzen Timer neben dem Sessel. Offenbar war er Leona aus der Hand geglitten. Eine der beiden Leuchtdioden war aktiv. Instinktiv drückte Cissy auf den schwarzen Knopf, der mit "OFF" gekennzeichnet war.

Während Pepita nach dem Arzt telefonierte, der ein paar Anwesen weiter wohnte, erwachte Leona langsam aus ihrer Seligkeit. Sie schlug die verklebten Augen auf und wisperte "Cissy? Warum hast du es ausgemacht? Mach es wieder an, bitte..." Doch Cissy legte den Timer weit weg und schüttelte energisch den Kopf. "Du spinnst ja wohl! Was immer du da gerade machst, aber es ist ganz bestimmt nicht gut für dich! Wie du aussiehst! Komm, ich mach dir ein heißes Bad fertig. Pepita ruft gerade den Arzt, der muss dich ja nicht so sehen!" Die praktische Cissy schleppte ihre stolpernde Freundin ins Bad und sorgte dafür, dass sie frisch gebadet und gekleidet war, als es am Tor läutete. Auch Pepita war nicht faul gewesen und hatte inzwischen die Spuren von Leonas Orgie beseitigt.

Der Arzt war glücklicherweise mit einer schnellen Auffassungsgabe gesegnet. Nachdem Cissy ihm den Timer hingelegt hatte und Pepita die dazu gehörenden Beobachtungen geliefert hatte, dämmerte es ihm. Erst vergangene Woche hatte er auf einem Kongress mit Dr. Ashley über dieses neue Phänomen gesprochen. Und jetzt hatte er einen der Anwender leibhaftig vor sich.

Leona musste mit viel heißem Kakao und warmen Decken wieder ins Leben gerufen werden. Schließlich saß sie unglücklich am Tisch, die Tränen rannen ihre Wangen hinab.

"Sie hätten sterben können" stellte der der Arzt nüchtern fest. "Durch die Stimulation steigt ihre Herzfrequenz auf über 150 Schläge die Minute, eventuell sogar noch weit höher, und das ununterbrochen. Das ist bei jedem Orgasmus so, deshalb dauert der ja auch nicht lang. Das Herz hält so eine Schlagzahl nicht lange durch. Der ganze Körper dehydriert, die Nieren arbeiten auf Hochtouren, Sie verlieren mehr an Flüssigkeit, als sie ohne viel zu trinken überstehen. Normalerweise hätten Sie sich sogar von oben bis unten nass machen müssen, weil ihre Blase..." er verstummte, als er bemerkte, dass alle drei Frauen zu Boden blickten. Jetzt sah er auch Leonas frisch gewaschene Haare und dachte sich den Rest.
Pepita meldete sich eifrig zu Wort: "Das macht sie schon seit zwei Monaten so! Dauernd muss ich waschen. Der Korb ist immer voller nasser Hosen und Handtücher. Aber heute war ja ein richtiger See unter dem Sessel..." Leona trank noch einen großen Schluck Kakao und richtete sich dann auf. "Ja und? Das war es wert. Und wenn ihr alle nicht so übereifrig über mich hergefallen wärt, dann hätte ich es heute endlich zu Ende gebracht!"
In das stumme Entsetzen der beiden anderen Frauen hinein meinte der Arzt ganz ruhig: "Das sehe ich auch so. Starke Suizidgefahr, das reicht. Ich werde Sie jetzt in eine Klinik einweisen lassen, wo man Ihnen wieder beibringt, das Leben zu lieben, wie es ist." In Leonas schwache Proteste hinein telefonierte er nach einem Rettungswagen.

°°°

Der ersehnte Anruf kam endlich. Jenkins hörte gebannt zu, fragte kurz nach und legte dann auf. "Dr. Ashley, Bingo! Bei beiden Opfern wurden im Hirn Elektroden gefunden und sogar eine Art Ministromversorgung in der Schädelbasis. Mein Pathologe war beeindruckt von der chirurgischen Präzision. Mein Team geht mit ihm zusammen gerade die Spezialisten durch, die so etwas zu Stande bringen können. Wir kriegen das Schwein!"

°°°

Als Professor Remington das Flugzeug verließ, atmete er tief durch. Das war knapp gewesen. Zunächst war er nach Europa geflogen, von dort mit neuen Papieren nach Havanna. Er erinnerte sich, wie ihn seine Assistentin das letzte Mal auf Handy angerufen hatte. Er saß gerade in Luzern am Vierwaldstätter See in einem Café, als es klingelte. "Herr Professor, es sind fremde Leute hier in der Praxis, die untersuchen alles und..." weiter kam sie nicht, das Gespräch wurde unterbrochen. Remington hatte die Warnung bekommen. Er brach auf, ging eine Runde spazieren und versenkte sein Handy feierlich im See, bevor er zum Flughafen fuhr.
In Havanna traf er seine Mittelsleute. Nach Abzug aller "Spesen", die ihn der illegale Seetransport seines Geldes, seiner Münzsammlungen und seiner Goldbarren gekostet hatte, blieb noch ein feiner Batzen übrig.

Wie schlau von ihm, dass er niemandem gesagt hatte, wohin er letztendlich wollte.
Als Mr. Barry Smith kaufte er eine schöne alte Gründerzeitvilla am Stadtrand und beschloss, es sich für die nächste Zeit als Privatier gut gehen zu lassen.

°°°

Jill und Jeanette hörten Cissys Geschichte atemlos zu. "Und Leona ist jetzt in einem Sanatorium?" Jeanette konnte es nicht fassen. Cissy nickte. "Das Ganze war total knapp. Der Arzt meinte, drei Stunden später wäre sie mit Sicherheit tot gewesen. Aber sie hatte gemeint, das wäre es wert. Sie hat mir dann ja noch später beschrieben, wie sich das anfühlt, wenn sie die Elektroden stimuliert hat." Cissy versuchte, Leonas euphorische Schilderungen zu wiederholen. "Sie sagte, es ist weit mehr als ein Dauerorgasmus. Es ist das ultimative Glück. Der Körper existiert quasi nicht mehr. Es ist so geil, dass man dafür sterben will."

°°°

Nach dem Abend bei Dr. Ashley zeigte Jenkins, was er konnte. Nach vier Tagen hatte er den Arzt gefunden - oder das, was dieser hinterlassen hatte. Remington selbst war durch alle Netze geschlüpft. Seine Spur verlor sich in Brüssel, wo er zuletzt offiziell eingereist war. Von dort aus konnte er mit neuen Papieren und einem Auto quasi ganz Europa bereist haben. Ob er noch dort war? Unwahrscheinlich.
Eine Patientenkartei gab es auch nicht. Allerdings musste Jenkins nicht lange warten, bis die ersten Verkabelten auffällig wurden. Abgesehen von den Todesfällen, die seltener geworden waren, gab es zunehmend Verzweifelte, deren Timer nicht mehr funktionierte, oder die auf der Suche nach einem Chirurgen waren, der ihre Stromversorgung erneuern oder reparieren konnte.

Süchtige sind unvorsichtig.
Es war nicht schwierig, sie ausfindig zu machen. Weit komplizierter war aber alles, was folgte. Ashley hatte Recht gehabt. Zwingen konnte man niemanden, sich wieder unters Messer zu legen. Andererseits kannte Jenkins seine Pappenheimer. Ein halbes Jahr später war er auf der Spur. Ein Arzt in Havanna, ein gewisser Smith, war die neue Anlaufstelle.

Jenkins hatte Witterung aufgenommen...

°°°



Copyright for all contents: feuercaro (Author)

Alle Inhalte dieser Seite sind urheberrechtlich geschützt.
Unerlaubtes Kopieren und Vervielfältigen werden strafrechtlich verfolgt!